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Vom letzten Willen zur Pflicht - Warum Enterben nicht grenzenlos funktioniert

  • Autorenbild: expatrecht
    expatrecht
  • 4. Dez. 2024
  • 4 Min. Lesezeit


1. Das Grundprinzip der Testierfreiheit

 

Das deutsche Erbrecht ist von der Testierfreiheit geprägt, die im Grundgesetz unter Art. 14 Abs. 1 GG verankert ist. Sie erlaubt es dem Erblasser, weitgehend frei zu bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Tod erben soll. Diese Freiheit bedeutet, dass der Erblasser:


• Erben einsetzen,

• Vermögen aufteilen,

• Bedingungen oder Auflagen formulieren,

• und bestimmte Personen ausdrücklich von der Erbfolge ausschließen kann.

 

Die Testierfreiheit bildet die Grundlage für die Möglichkeit, jemanden zu enterben. Allerdings handelt es sich um keine absolute Freiheit. Es gibt Grenzen, die insbesondere durch das Pflichtteilsrecht und andere Schutzmechanismen vorgegeben sind.

 


2. Enterbung im juristischen Sinne: Was bedeutet das?

 

Wenn eine Person enterbt wird, bedeutet dies, dass sie nicht Erbe nach den gesetzlichen oder testamentarischen Regelungen wird. Das deutsche Recht unterscheidet zwischen:


• Enterbung durch ausdrückliche Anordnung: Der Erblasser erklärt im Testament, dass eine

bestimmte Person nichts erhalten soll.

• Enterbung durch Einsetzung anderer Erben: Der Erblasser ordnet an, dass andere

Personen den gesamten Nachlass erben.

 

In beiden Fällen wird der Enterbte aus der Erbfolge ausgeschlossen. Doch das bedeutet nicht automatisch, dass die enterbte Person leer ausgeht – hier greift das Pflichtteilsrecht.

 

3. Das Pflichtteilsrecht: Die große Grenze der Testierfreiheit

 

Das Pflichtteilsrecht ist der zentrale Schutzmechanismus im deutschen Erbrecht. Es garantiert bestimmten nahen Angehörigen einen Mindestanspruch am Nachlass, selbst wenn sie vom Erblasser enterbt wurden.

 

3.1 Wer hat Anspruch auf den Pflichtteil?

 

Pflichtteilsberechtigt sind gemäß § 2303 BGB:


1. Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel),

2. Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner,

3. Eltern des Erblassers (nur, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind).

 

Geschwister, entfernte Verwandte oder Lebensgefährten haben hingegen keinen Anspruch auf einen Pflichtteil.

 

3.2 Wie hoch ist der Pflichtteil?

 

Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Er wird als reiner Geldanspruch geltend gemacht und gibt keinen Zugriff auf konkrete Nachlassgegenstände.

 

3.3 Kann der Pflichtteil entzogen werden?

 

In Ausnahmefällen erlaubt das Gesetz, einem Pflichtteilsberechtigten den Anspruch zu entziehen. Die Hürden hierfür sind jedoch extrem hoch. Gründe für einen Pflichtteilsentzug können gemäß § 2333 BGB sein:


• Schwere Straftaten gegen den Erblasser oder nahe Angehörige,

• Gröbliche Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten,

• Vorsätzliche Beeinträchtigung des Erblassers in seinem letzten Willen.

 

Ein bloßes Zerwürfnis, mangelnde Dankbarkeit oder familiäre Streitigkeiten reichen nicht aus.






4. Testamentsklauseln: Zwischen Kreativität und Rechtswirksamkeit

 

Ein Testament kann skurrile und ungewöhnliche Anordnungen enthalten, solange sie die rechtlichen Grenzen respektieren. Einige Beispiele zeigen, wie weit die Testierfreiheit in der Praxis reicht.

 

4.1 Bedingungen und Auflagen

 

Ein Erblasser kann Bedingungen für die Erbeinsetzung formulieren, z. B.:


• Ein Kind soll nur erben, wenn es ein bestimmtes Studium abschließt.

• Ein Erbe erhält das Vermögen nur unter der Bedingung, dass er oder sie auf bestimmte

Lebensweisen verzichtet.

 

Solche Bedingungen sind grundsätzlich zulässig, dürfen aber nicht gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB). Beispiele für unwirksame Bedingungen:


• Diskriminierende Auflagen (z. B. Erbeinsetzung nur bei Heirat mit einer Person bestimmter

Herkunft).

• Verpflichtungen, die die persönliche Freiheit des Erben übermäßig einschränken.

 

4.2 Einsetzung von ungewöhnlichen Erben

 

Es gibt auch Fälle, in denen Tiere oder Vereine als Erben eingesetzt werden. Nach deutschem Recht können Tiere nicht direkt erben, aber der Erblasser kann eine Stiftung oder Person benennen, die das Vermögen für das Wohl des Tieres verwaltet.

 

4.3 Skurrile Wünsche und ihr Bestand

 

Ein berühmtes Beispiel für eine ungewöhnliche Klausel ist das Testament des britischen Dramatikers George Bernard Shaw, der anordnete, dass sein Vermögen verwendet werden solle, um ein neues Alphabet zu entwickeln. Solange solche Wünsche die Rechte anderer nicht verletzen, sind sie zulässig.

 

5. Enterbung in der Praxis: Häufige Fallstricke und Streitpunkte

 

Die Enterbung führt in der Praxis oft zu Streitigkeiten, insbesondere wenn:


1. Das Testament unklar formuliert ist: Ungenaue oder widersprüchliche Klauseln können

zur Unwirksamkeit führen.

2. Pflichtteilsberechtigte übergangen werden: Wird der Pflichtteil nicht berücksichtigt, kann

dies zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führen.

3. Emotionale Motive dominieren: Erblasser handeln oft aus einer Emotion heraus und

setzen Klauseln ein, die rechtlich nicht haltbar sind.

 

Fallbeispiel: Enterbung wegen familiärer Konflikte

 

Ein Vater enterbt seinen Sohn mit der Begründung, dieser habe den Kontakt abgebrochen. Der Sohn macht dennoch seinen Pflichtteil geltend. Hier zeigt sich: Die emotionale Distanz zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem hat keinen Einfluss auf den Pflichtteilsanspruch.

 

Fallbeispiel: „Unwürdigkeit“ des Erben

 

Ein Ehepartner wird als „erbunwürdig“ dargestellt, weil er die Familie verlassen hat. Solche subjektiven Bewertungen reichen jedoch nicht aus, um den Pflichtteil zu entziehen.

 

6. Die Rolle der Gerichte: Wo verlaufen die Grenzen?

 

Gerichte sind regelmäßig mit der Auslegung von Testamenten und der Überprüfung von Enterbungen beschäftigt. Ihre Entscheidungen zeigen, wo die juristischen Grenzen verlaufen.

 

6.1 Der Grundsatz der Auslegung

 

Die Gerichte versuchen stets, den tatsächlichen Willen des Erblassers zu ermitteln (§ 133 BGB). Unklare Formulierungen können dazu führen, dass der Erblasserwille anders ausgelegt wird, als ursprünglich beabsichtigt.

 

6.2 Sittenwidrige Klauseln

 

Ein prominentes Beispiel ist das Urteil des BGH (Az.: IV ZR 139/03), in dem ein Testament für unwirksam erklärt wurde, weil die darin enthaltenen Bedingungen diskriminierend waren.

 

7. Empfehlungen für Erblasser und Erben

 


Für Erblasser:

 

• Präzise Formulierungen: Ein Testament sollte klar und eindeutig verfasst sein.

• Rechtsberatung: Die Unterstützung durch einen Anwalt oder Notar kann helfen, Konflikte

zu vermeiden.

• Pflichtteil beachten: Wer Pflichtteilsberechtigte umgehen will, sollte die gesetzlichen

Vorgaben kennen.

 

Für Erben:

 

• Pflichtteilsanspruch prüfen: Auch bei einer Enterbung kann ein Anspruch bestehen.

• Testament anfechten: Wenn Zweifel an der Wirksamkeit eines Testaments bestehen, sollte

eine Anfechtung geprüft werden.

 
 
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